Bericht von einer Borderlinebetroffenen
Di Mai 10, 2011 6:40 pm
1. Was ist bei euch in zwischenmenschlichen Bereich schwierig(Verhalten, Gefühle, etc...)?
2. Wie spürt ihr eure Anspannung, was denkt ihr dabei?
3. Was passiert bei euch vor einer Dissoziation?
4. Wie geht ihr mit euren Gefühlen um?
5. Was geht es euch vor, während und nach einer SVV?
6. Was habt ihr für eine Therapieerfahrung und wie hilft sie euch oder eben auch nicht?
7. Wie geht euer Umfeld damit um?
8. Welche Wünsche und Bedürfnisse habt ihr?
9. Habt ihr durch die Störung auch Probleme im Beruf?
10. Wie würdet ihr euch wünschen, sollte die Umwelt mit euch umgehen?
1., 2., 4., 5.)
Wieder einmal versagt. Neben mir lag das Telefon, als stumme Anklage, was in
regelmäßigen fünf Minuten Abständen vibrierte. Er versuchte mich zu
erreichen, doch ich schwieg. Verdrängung, Wegschieben, ihn bloß nicht
sehen. Es hatte mir weh getan – oder ich ihm? Im nachhinein verschwammen
die Konturen eines Streites immer. Was war heute eigentlich gewesen?
Gut, die letzten Tage hatte ich mich wieder einmal eingemauert, hatte
plötzlich von heute auf morgen die Nähe nicht mehr ertragen. Alle
Kontakte abgebrochen, weil ich mir sicher war, ihnen nur zu schaden und
ihnen Sorgen zu machen. Und weil ich sie nicht um mich haben konnte.
Ihre bloße Nähe machte mich aggressiv, alles, was sie sagten, klang wie
ein Vorwurf, selbst wenn es sich um harmlose Themen handelte. Nachfragen
nach meinem Befinden waren das Schlimmste. Also hatte ich mich
versteckt – PC nicht mehr angemacht, das Telefon nicht mehr beantwortet.
Auf SMS nicht reagiert, Klingeln an der Tür ignoriert. Das Haus nicht
verlassen, selbst dann nicht, als meine Vorräte aufgebraucht waren.
Ernährung durch Wasser und Tee, was anderes hatte ich ja nicht mehr.
Aber wenn ich rausging, hätte mich ja jemand treffen können.
Gleichzeitig aber war ich angespannt. Ich haßte die Einsamkeit, richtete sie gegen
mich. „Du bist eine schlechte Freundin, du hast es verdient, wenn sich
alle von dir abwenden, du darfst mit niemandem Kontakt haben, weil du
ihnen nur schadest, du mußt für immer allein bleiben. Ich hasse dich!“
Mein Schatz machte das nicht mit. Er kannte diese Phasen, wußte auch, wie
gefährlich sie für mich sein konnten, grade dann, wenn meine Eltern
nicht daheim waren, so wie jetzt. Blutspuren im Haus waren egal, ich
mußte mich ja nicht mehr verstecken. Überall Klingen, blutige Hand- und
Taschentücher. Einmal schon zusammengebrochen, weil ich zuviel Blut
verloren hatte.
Also gab er nicht auf. Mehrere Tage hatte ich noch die Kraft, die Anrufe und
SMS zu ignorieren, weil ich mir sicher war, es wäre für ihn besser,
wenn er mich vergessen könnte. Dann, an diesem Abend, war ich ran
gegangen. Die Einsamkeit hatte mich förmlich erschlagen, dehnte sich
aus, weit über die normale Zeit hinweg. Minuten wurden zu Stunden, die
Leere in mir immer schmerzhafter und unerträglich. Da war ich dann doch
kurzfristig froh, reden zu dürfen, mit ihm, den ich liebte. Mit ihm, den
ich haßte, weil er mich nicht aufgab. Ihn, den ich liebte, weil er mir
Nähe und Geborgenheit schenkte. Ihn, den ich haßte, weil er mir meine
Freiheiten nahm und über meine Wunden nicht hinwegsah.
Im Gespräch machte er mir Vorwürfe. Ich hätte ihm wenigstens sagen könne,
daß ich im Moment keinen Kontakt will, er würde es doch verstehen. Aber
er könne es nicht so einfach hinnehmen, es täte ihm weg. Ich wurde
aggressiv, wütend, schrie ihn am Telefon an. Nein, ich wolle jetzt nicht
reden, er soll mich in Ruhe lassen. Das Nein ignorierte er, rief auch
danach immer wieder an. Telefonterror durch Dauerklingeln. Meine Gefühle
schossen durch eine Achterbahn, immer hin und her getrieben von Freude
darüber, daß er mich nicht aufgab, Hass, daß er sich über mein Nein
hinwegsetzte, Angst, von ihm verlassen zu werden, Wut auf mich selber
und meine Unfähigkeit, mit ihm einfach zu reden.
Die Anspannung stieg. Ich fing an zu zittern, an Armen und Beinen, meine
Gedanken rasten wild im Kreis, immer zwischen Suizidplänen, totaler
Isolation, Selbstvorwürfen und Bildern von Wunden und Blut hin und her.
Unruhig spielten meine Finger bereits mit der Klinge, die hier natürlich
bereitlag. Die Gedanken, die „Mythen“, ich bin es nicht wert zu leben,
ich tue anderen nur weh, ich bin unfähig und schlecht waren wie
unumstößliche Gesetze in meinem Kopf. Der Druck auf dem Magen, als sei
man unglaublich aufgeregt, und vor allem die immer stärker werdenden
Gefühle von Leere und Angst – verwunderlich eigentlich, daß man neben
Leere noch fühlen kann, aber für Angst und Schmerz ist immer Platz –
quälten mich, nahmen mir den Atem. Die Selbstverletzung war eine
logische Konsequenz – die Leere beenden, den Schmerz nach außen kehren,
mich beruhigen, um danach wieder mit ihm reden zu können. Die Isolation
beenden zu können.
4., 5.)
Während des Schneidens spüre ich nichts. Natürlich, der Schmerz ist da, aber
obwohl ich ihn spüre, spüre ich ihn nicht. Meine Wahrnehmung beschränkt
sich meistens auf den bloßen Schnitt, auf die Klinge, die ich immer und
immer wieder durchziehe, auf das Blut, daß mir den Arm oder das Bein
herunter läuft. Oben beschrieben ist eine typische Situation, was vor
einer Selbstverletzung bei mir abläuft, aber oft hat es gar keinen
konkreten Auslöser – die bloßen Gedanken, die Mythen, die sich im meinem
Kopf festgesetzt haben, sind oftmals Grund genug. Das Wissen, ich bin
schlecht, ich verdiene es nicht zu leben, ich verletze andere nur und
bin unfähig und dumm, sind genug, um in meinem Selbsthaß die Klinge
gegen mich zu richten. Alternativ sind Selbstverletzung für mich eine
Möglichkeit, mit den intensiven Gefühlen, egal ob positiv oder negativ,
umzugehen, um das Gefühl aushalten zu können. Klar geht es bei
Traurigkeit, Einsamkeit, innerer Leere etc. schneller als bei
hochgradiger Freude und Glück, aber oftmals verletzte ich mich auch
dann, um mich „auf den Teppich zurückzuholen“ und den schweren Sturz
danach in das Gegenteil, in die totale Hoffnungslosigkeit und Trauer
abzumildern. Und ich weiß, daß dieser Sturz immer wieder kommt, und daß
er dann um so schmerzhafter für mich ist.
Nach dem Schneiden bin ich meistens ganz ruhig, fast gefühllos, auf aber
eine angenehme Art und Weise. Ich habe dann die Kraft, zwar eher
schlecht als recht meine Wunden zu versorgen, die Spuren meines Tuns zu
verwischen, und dann oft das tun zu können, was ich vorher nicht konnte.
Gespräche führen, Tätigkeiten, manchmal auch Anrufe tätigen, zu denen
ich vorher nicht die Kraft hatte. Die Angst ist gemildert, die Energie
zumindest gefühlsmäßig höher, und vor allem – mein Selbsthaß ist
gemildert, weil ich mir geschadet habe.
3.)
Wenn ich dissoziiere, kann es unterschiedlich sein. Manchmal ist es ein
bloßes Wegdriften, ein Wegträumen, wenn mich Gespräche langweilen oder
anstrengen. Ich höre dann nichts mehr, „blende“ quasi mein Gegenüber
aus. Dies passiert meistens, wenn das Gespräch zu ehrlich wird, ich zu
viel von mir preisgeben müßte, was ich nicht will, was mir Angst macht.
Wenn ich die Kontrolle über ein Gespräch verliere, trete ich weg,
manchmal mehr, manchmal weniger stark.
Ein weiterer Auslöser sind Menschenmengen. Andere, egal ob Freunde,
Verwandte oder Fremde, die mir zu nahe sind, beispielsweise im Bus, Kino
oder Theater direkt neben mir sitzen. In der Stadt sein, inmitten
einkaufender Menschen, bringt mich regelmäßig zum „Fliegen“, als ob ich
Watte statt Boden unter meinen Füßen habe. Dann beginnt alles zum Film
zu werden, der weit entfernt von mir abläuft, als wäre ich durch eine
dicke Glasscheibe von den anderen Menschen getrennt. Dann Antworten zu
geben oder Geschäfte zu tätigen fällt mir schwer.
6.)
Meine Therapie-Odyssee begann im Sommer letzten Jahres, Anfang Juli. Meine
Eltern schleppten mich wegen entdeckter Selbstverletzungen zu einem
psychotherapeutischen Psychotherapeuten, der mit mir zunächst ein paar
Wochen verhaltenstherapeutisch arbeitete. Nach zunehmendem SVV und
steigender Suizidalität lieferte er mich schließlich, Mitte September,
in ein LKH ein, wo ich etwa einen Monat auf einer Akutstation
verbrachte. Ich wurde dann auf die dortige DBT-Station verlegt, die ich
allerdings direkt nach einem Tag dort wieder verließ, weil es mir zu
hart war. Entlassen konnte durfte ich mich nicht, also ging es zurück
auf die Akutstation. Nach einem Monat dort wurde ich dann für eine Woche
auf eine geschlossene Akutstation verlegt, weil ich mich mehrmals zu
tief selbstverletzt hatte, dann kehrte ich zurück. Anfang Februar wurde
ich dann erneut auf die DBT-Station verlegt, wo ich dann 6 Wochen
dialektisch behavioral therapiert wurde, bis ein Bruch des
Behandlungsvertrags zum Abbruch der Therapie führte. Seitdem ich mich
dann von erneut der geschlossenen selbst entließ, bin ich wieder zu
Hause, ohne Therapie zu machen.
Mir hat die Therapie wenig bis gar nicht geholfen. Ich hatte nicht den
Willen zur konsequenten Skillsanwendung, und durch die lange
Aufenthaltszeit auf der Akutstation, ohne mich entlassen zu dürfen, war
meine Motivation ziemlich schlecht, was dann auch dazu führte, daß ich
mir nicht richtig helfen ließ, was dann meine Therapeuten schlußendlich
immer aufgeben ließ. Dadurch habe ich mittlerweile keine Hoffnung mehr,
durch eine Therapie etwas erreichen zu können, weil alle meine
Therapeuten mir nicht helfen konnten, auch dann nicht, wenn ich gewillt
war etwas zu verändern. Ich habe zu massive Fassaden und
Schutzmechanismen, die ich auch mit ihrer Hilfe nie durchbrechen konnte.
7.)
Es ist für mein Umfeld sehr schwer, mit mir und meiner „Krankheit“
umzugehen. Meine Eltern belastet es sehr, und ihr Umgang mit mir
wechselt von sehr behutsamer und vorsichtiger Behandlung zu Vorwürfen
und Druck. Sie wissen nicht richtig, wie sie mit mir umgehen sollen,
können mich nicht mehr einschätzen und haben gewaltige Angst vor meiner
eigenen Destruktivität, und einem nächsten möglichen Suizidversuch.
Bei meinen Freunden ist es unterschiedlich. Es gibt ein paar, die einfach
versuchen, mich so sehr zu unterstützen, wie sie können und ich zulasse,
bieten sich permanent als Gesprächspartner an, und sind auch bereit,
immer zu kommen, wenn ich sie brauche. Andere haben sich seit dem
Klinikaufenthalt massiv von mir zurückgezogen, und können mit so Dingen
wie der Selbstverletzung gar nicht umgehen. Es ist halt
unterschiedlich..
8.)
Meine Wünsche und Bedürfnisse wechseln meist mit meiner Stimmungslage und
meinem Selbstwertgefühl. Geht es mir schlecht, und hasse ich mich, habe
ich weder das eine noch das andere. Die tiefe Hoffnungslosigkeit, die
dann eintritt, zeigt sich oft, indem ich dann all meine Wünsche und
träume und Zukunftspläne verwerfe und auch nicht mehr fähig bin, daran
zu arbeiten oder auch nur zu denken. Ich habe dann meist nur das
Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit, was ich aber gleichzeitig nicht
zulassen kann, und was dann zu den starken Einsamkeitsgefühlen kommt,
die meine Krise noch vertiefen.
Geht es mir gut, wünsche ich mir meist, daß ich irgendwann wieder in der
Lage bin, eine Beziehung zu führen, generell zu lieben und irgendwie
bald ein Studium anzufangen, das mich meinen träumen und Zielen näher
bringt. Ich brauche dann vor allem Unterstützung von außen, die mir
hilft, wenn ich mal wieder durch ein „Loch“ abstürze, weiterhin die
positiven Dinge im Auge zu behalten und nicht aufzugeben. Dieses
Bedürfnis kann ich aber nie artikulieren, daher bleibt das wohl auch
unerfüllt..
9.)
Ich habe meinen letzten Job durch die Selbstverletzung verloren, da mein
Arbeitgeber mich nicht mit zerschnittenen armen beschäftigen konnte und
wollte. Im Moment ist es auch für mich durch das massive SVV unmöglich,
einen Job zu finden, aber ich würde ihn wohl eh nicht halten können, da
ich dafür im Moment einfach zu instabil bin.
10.)
Wenn ich das wüßte, wäre vieles einfacher... ich bin ja selbst oft total von
mir selbst überfordert und weiß nicht, wie ich mit mir klarkommen kann,
da kann ich leider auch nicht sagen, wie andere es tun sollten. ich
würde mir primär Unterstützung und ein bißchen Liebe wünschen, weiß
aber, daß das nicht in dem Maße erfüllbar ist, wie ich es gern hätte,
weil ich leider das Sorgen bei anderen Menschen nicht ausschalten kann,
was mich im Gegenzug dann wieder unter Druck setzt.
2. Wie spürt ihr eure Anspannung, was denkt ihr dabei?
3. Was passiert bei euch vor einer Dissoziation?
4. Wie geht ihr mit euren Gefühlen um?
5. Was geht es euch vor, während und nach einer SVV?
6. Was habt ihr für eine Therapieerfahrung und wie hilft sie euch oder eben auch nicht?
7. Wie geht euer Umfeld damit um?
8. Welche Wünsche und Bedürfnisse habt ihr?
9. Habt ihr durch die Störung auch Probleme im Beruf?
10. Wie würdet ihr euch wünschen, sollte die Umwelt mit euch umgehen?
1., 2., 4., 5.)
Wieder einmal versagt. Neben mir lag das Telefon, als stumme Anklage, was in
regelmäßigen fünf Minuten Abständen vibrierte. Er versuchte mich zu
erreichen, doch ich schwieg. Verdrängung, Wegschieben, ihn bloß nicht
sehen. Es hatte mir weh getan – oder ich ihm? Im nachhinein verschwammen
die Konturen eines Streites immer. Was war heute eigentlich gewesen?
Gut, die letzten Tage hatte ich mich wieder einmal eingemauert, hatte
plötzlich von heute auf morgen die Nähe nicht mehr ertragen. Alle
Kontakte abgebrochen, weil ich mir sicher war, ihnen nur zu schaden und
ihnen Sorgen zu machen. Und weil ich sie nicht um mich haben konnte.
Ihre bloße Nähe machte mich aggressiv, alles, was sie sagten, klang wie
ein Vorwurf, selbst wenn es sich um harmlose Themen handelte. Nachfragen
nach meinem Befinden waren das Schlimmste. Also hatte ich mich
versteckt – PC nicht mehr angemacht, das Telefon nicht mehr beantwortet.
Auf SMS nicht reagiert, Klingeln an der Tür ignoriert. Das Haus nicht
verlassen, selbst dann nicht, als meine Vorräte aufgebraucht waren.
Ernährung durch Wasser und Tee, was anderes hatte ich ja nicht mehr.
Aber wenn ich rausging, hätte mich ja jemand treffen können.
Gleichzeitig aber war ich angespannt. Ich haßte die Einsamkeit, richtete sie gegen
mich. „Du bist eine schlechte Freundin, du hast es verdient, wenn sich
alle von dir abwenden, du darfst mit niemandem Kontakt haben, weil du
ihnen nur schadest, du mußt für immer allein bleiben. Ich hasse dich!“
Mein Schatz machte das nicht mit. Er kannte diese Phasen, wußte auch, wie
gefährlich sie für mich sein konnten, grade dann, wenn meine Eltern
nicht daheim waren, so wie jetzt. Blutspuren im Haus waren egal, ich
mußte mich ja nicht mehr verstecken. Überall Klingen, blutige Hand- und
Taschentücher. Einmal schon zusammengebrochen, weil ich zuviel Blut
verloren hatte.
Also gab er nicht auf. Mehrere Tage hatte ich noch die Kraft, die Anrufe und
SMS zu ignorieren, weil ich mir sicher war, es wäre für ihn besser,
wenn er mich vergessen könnte. Dann, an diesem Abend, war ich ran
gegangen. Die Einsamkeit hatte mich förmlich erschlagen, dehnte sich
aus, weit über die normale Zeit hinweg. Minuten wurden zu Stunden, die
Leere in mir immer schmerzhafter und unerträglich. Da war ich dann doch
kurzfristig froh, reden zu dürfen, mit ihm, den ich liebte. Mit ihm, den
ich haßte, weil er mich nicht aufgab. Ihn, den ich liebte, weil er mir
Nähe und Geborgenheit schenkte. Ihn, den ich haßte, weil er mir meine
Freiheiten nahm und über meine Wunden nicht hinwegsah.
Im Gespräch machte er mir Vorwürfe. Ich hätte ihm wenigstens sagen könne,
daß ich im Moment keinen Kontakt will, er würde es doch verstehen. Aber
er könne es nicht so einfach hinnehmen, es täte ihm weg. Ich wurde
aggressiv, wütend, schrie ihn am Telefon an. Nein, ich wolle jetzt nicht
reden, er soll mich in Ruhe lassen. Das Nein ignorierte er, rief auch
danach immer wieder an. Telefonterror durch Dauerklingeln. Meine Gefühle
schossen durch eine Achterbahn, immer hin und her getrieben von Freude
darüber, daß er mich nicht aufgab, Hass, daß er sich über mein Nein
hinwegsetzte, Angst, von ihm verlassen zu werden, Wut auf mich selber
und meine Unfähigkeit, mit ihm einfach zu reden.
Die Anspannung stieg. Ich fing an zu zittern, an Armen und Beinen, meine
Gedanken rasten wild im Kreis, immer zwischen Suizidplänen, totaler
Isolation, Selbstvorwürfen und Bildern von Wunden und Blut hin und her.
Unruhig spielten meine Finger bereits mit der Klinge, die hier natürlich
bereitlag. Die Gedanken, die „Mythen“, ich bin es nicht wert zu leben,
ich tue anderen nur weh, ich bin unfähig und schlecht waren wie
unumstößliche Gesetze in meinem Kopf. Der Druck auf dem Magen, als sei
man unglaublich aufgeregt, und vor allem die immer stärker werdenden
Gefühle von Leere und Angst – verwunderlich eigentlich, daß man neben
Leere noch fühlen kann, aber für Angst und Schmerz ist immer Platz –
quälten mich, nahmen mir den Atem. Die Selbstverletzung war eine
logische Konsequenz – die Leere beenden, den Schmerz nach außen kehren,
mich beruhigen, um danach wieder mit ihm reden zu können. Die Isolation
beenden zu können.
4., 5.)
Während des Schneidens spüre ich nichts. Natürlich, der Schmerz ist da, aber
obwohl ich ihn spüre, spüre ich ihn nicht. Meine Wahrnehmung beschränkt
sich meistens auf den bloßen Schnitt, auf die Klinge, die ich immer und
immer wieder durchziehe, auf das Blut, daß mir den Arm oder das Bein
herunter läuft. Oben beschrieben ist eine typische Situation, was vor
einer Selbstverletzung bei mir abläuft, aber oft hat es gar keinen
konkreten Auslöser – die bloßen Gedanken, die Mythen, die sich im meinem
Kopf festgesetzt haben, sind oftmals Grund genug. Das Wissen, ich bin
schlecht, ich verdiene es nicht zu leben, ich verletze andere nur und
bin unfähig und dumm, sind genug, um in meinem Selbsthaß die Klinge
gegen mich zu richten. Alternativ sind Selbstverletzung für mich eine
Möglichkeit, mit den intensiven Gefühlen, egal ob positiv oder negativ,
umzugehen, um das Gefühl aushalten zu können. Klar geht es bei
Traurigkeit, Einsamkeit, innerer Leere etc. schneller als bei
hochgradiger Freude und Glück, aber oftmals verletzte ich mich auch
dann, um mich „auf den Teppich zurückzuholen“ und den schweren Sturz
danach in das Gegenteil, in die totale Hoffnungslosigkeit und Trauer
abzumildern. Und ich weiß, daß dieser Sturz immer wieder kommt, und daß
er dann um so schmerzhafter für mich ist.
Nach dem Schneiden bin ich meistens ganz ruhig, fast gefühllos, auf aber
eine angenehme Art und Weise. Ich habe dann die Kraft, zwar eher
schlecht als recht meine Wunden zu versorgen, die Spuren meines Tuns zu
verwischen, und dann oft das tun zu können, was ich vorher nicht konnte.
Gespräche führen, Tätigkeiten, manchmal auch Anrufe tätigen, zu denen
ich vorher nicht die Kraft hatte. Die Angst ist gemildert, die Energie
zumindest gefühlsmäßig höher, und vor allem – mein Selbsthaß ist
gemildert, weil ich mir geschadet habe.
3.)
Wenn ich dissoziiere, kann es unterschiedlich sein. Manchmal ist es ein
bloßes Wegdriften, ein Wegträumen, wenn mich Gespräche langweilen oder
anstrengen. Ich höre dann nichts mehr, „blende“ quasi mein Gegenüber
aus. Dies passiert meistens, wenn das Gespräch zu ehrlich wird, ich zu
viel von mir preisgeben müßte, was ich nicht will, was mir Angst macht.
Wenn ich die Kontrolle über ein Gespräch verliere, trete ich weg,
manchmal mehr, manchmal weniger stark.
Ein weiterer Auslöser sind Menschenmengen. Andere, egal ob Freunde,
Verwandte oder Fremde, die mir zu nahe sind, beispielsweise im Bus, Kino
oder Theater direkt neben mir sitzen. In der Stadt sein, inmitten
einkaufender Menschen, bringt mich regelmäßig zum „Fliegen“, als ob ich
Watte statt Boden unter meinen Füßen habe. Dann beginnt alles zum Film
zu werden, der weit entfernt von mir abläuft, als wäre ich durch eine
dicke Glasscheibe von den anderen Menschen getrennt. Dann Antworten zu
geben oder Geschäfte zu tätigen fällt mir schwer.
6.)
Meine Therapie-Odyssee begann im Sommer letzten Jahres, Anfang Juli. Meine
Eltern schleppten mich wegen entdeckter Selbstverletzungen zu einem
psychotherapeutischen Psychotherapeuten, der mit mir zunächst ein paar
Wochen verhaltenstherapeutisch arbeitete. Nach zunehmendem SVV und
steigender Suizidalität lieferte er mich schließlich, Mitte September,
in ein LKH ein, wo ich etwa einen Monat auf einer Akutstation
verbrachte. Ich wurde dann auf die dortige DBT-Station verlegt, die ich
allerdings direkt nach einem Tag dort wieder verließ, weil es mir zu
hart war. Entlassen konnte durfte ich mich nicht, also ging es zurück
auf die Akutstation. Nach einem Monat dort wurde ich dann für eine Woche
auf eine geschlossene Akutstation verlegt, weil ich mich mehrmals zu
tief selbstverletzt hatte, dann kehrte ich zurück. Anfang Februar wurde
ich dann erneut auf die DBT-Station verlegt, wo ich dann 6 Wochen
dialektisch behavioral therapiert wurde, bis ein Bruch des
Behandlungsvertrags zum Abbruch der Therapie führte. Seitdem ich mich
dann von erneut der geschlossenen selbst entließ, bin ich wieder zu
Hause, ohne Therapie zu machen.
Mir hat die Therapie wenig bis gar nicht geholfen. Ich hatte nicht den
Willen zur konsequenten Skillsanwendung, und durch die lange
Aufenthaltszeit auf der Akutstation, ohne mich entlassen zu dürfen, war
meine Motivation ziemlich schlecht, was dann auch dazu führte, daß ich
mir nicht richtig helfen ließ, was dann meine Therapeuten schlußendlich
immer aufgeben ließ. Dadurch habe ich mittlerweile keine Hoffnung mehr,
durch eine Therapie etwas erreichen zu können, weil alle meine
Therapeuten mir nicht helfen konnten, auch dann nicht, wenn ich gewillt
war etwas zu verändern. Ich habe zu massive Fassaden und
Schutzmechanismen, die ich auch mit ihrer Hilfe nie durchbrechen konnte.
7.)
Es ist für mein Umfeld sehr schwer, mit mir und meiner „Krankheit“
umzugehen. Meine Eltern belastet es sehr, und ihr Umgang mit mir
wechselt von sehr behutsamer und vorsichtiger Behandlung zu Vorwürfen
und Druck. Sie wissen nicht richtig, wie sie mit mir umgehen sollen,
können mich nicht mehr einschätzen und haben gewaltige Angst vor meiner
eigenen Destruktivität, und einem nächsten möglichen Suizidversuch.
Bei meinen Freunden ist es unterschiedlich. Es gibt ein paar, die einfach
versuchen, mich so sehr zu unterstützen, wie sie können und ich zulasse,
bieten sich permanent als Gesprächspartner an, und sind auch bereit,
immer zu kommen, wenn ich sie brauche. Andere haben sich seit dem
Klinikaufenthalt massiv von mir zurückgezogen, und können mit so Dingen
wie der Selbstverletzung gar nicht umgehen. Es ist halt
unterschiedlich..
8.)
Meine Wünsche und Bedürfnisse wechseln meist mit meiner Stimmungslage und
meinem Selbstwertgefühl. Geht es mir schlecht, und hasse ich mich, habe
ich weder das eine noch das andere. Die tiefe Hoffnungslosigkeit, die
dann eintritt, zeigt sich oft, indem ich dann all meine Wünsche und
träume und Zukunftspläne verwerfe und auch nicht mehr fähig bin, daran
zu arbeiten oder auch nur zu denken. Ich habe dann meist nur das
Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit, was ich aber gleichzeitig nicht
zulassen kann, und was dann zu den starken Einsamkeitsgefühlen kommt,
die meine Krise noch vertiefen.
Geht es mir gut, wünsche ich mir meist, daß ich irgendwann wieder in der
Lage bin, eine Beziehung zu führen, generell zu lieben und irgendwie
bald ein Studium anzufangen, das mich meinen träumen und Zielen näher
bringt. Ich brauche dann vor allem Unterstützung von außen, die mir
hilft, wenn ich mal wieder durch ein „Loch“ abstürze, weiterhin die
positiven Dinge im Auge zu behalten und nicht aufzugeben. Dieses
Bedürfnis kann ich aber nie artikulieren, daher bleibt das wohl auch
unerfüllt..
9.)
Ich habe meinen letzten Job durch die Selbstverletzung verloren, da mein
Arbeitgeber mich nicht mit zerschnittenen armen beschäftigen konnte und
wollte. Im Moment ist es auch für mich durch das massive SVV unmöglich,
einen Job zu finden, aber ich würde ihn wohl eh nicht halten können, da
ich dafür im Moment einfach zu instabil bin.
10.)
Wenn ich das wüßte, wäre vieles einfacher... ich bin ja selbst oft total von
mir selbst überfordert und weiß nicht, wie ich mit mir klarkommen kann,
da kann ich leider auch nicht sagen, wie andere es tun sollten. ich
würde mir primär Unterstützung und ein bißchen Liebe wünschen, weiß
aber, daß das nicht in dem Maße erfüllbar ist, wie ich es gern hätte,
weil ich leider das Sorgen bei anderen Menschen nicht ausschalten kann,
was mich im Gegenzug dann wieder unter Druck setzt.
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